Er ist ein Magier. Doch es sind keine Taschenspielertricks, die Klaus Maria Brandauer vorführt, sondern Kleinode, sorgsam gewählte Auszüge aus Werken der Weltliteratur, die nur er, der Meister sowohl der stillen als auch der unberechenbaren Töne, an diesem langen Abend in der Isarphilharmonie allein vorträgt.
Brandauer lockt die Zuschauer immer wieder in nur ihm bekannte, zauberhaft geheimnisvolle Gefilde, spielt mit den Emotionen wie ein Dirigent mit seinem Orchester, führt das Publikum auf falsche Fährten, die sich manchmal doch als richtige herausstellen, und reizt die Dramaturgie seiner Solodarbietung überaus gekonnt im gut gefüllten Saal aus.
Brandauers Stimme kriecht in die Köpfe und Herzen
Als Vollblutschauspieler gibt er erfreulicherweise auch wirklich alles! Brandauer ist ein großer Geist, der es zwischendurch zustande bringt, der Zuhörerschaft das Gefühl zu vermitteln, allein mit dem großen Mimen zu sein.
Seine Stimme kriecht in die Köpfe und die Herzen, jeder Einzelne kommt somit in den Genuss, sehr nah und persönlich mit großer Kunst berieselt zu werden. Einzig die geschätzten neun Husterinnen und Huster, die es verstanden haben, sich geschickt im gesamten Raum der Isarphilharmonie zu verteilen, machen es der lauschenden Person bewusst, dass noch andere im Raum sind.
Im ersten Teil trägt Brandauer Dostojewskis Parabel vom Großinquisitor vor: fast meditativ, mit getragener, ruhiger Stimme, beinahe wie ein Rosenkranz. Der Text liegt ihm besonders am Herzen. Immerhin widmet er ihm die gesamte erste Stunde und berichtet von der Rückkehr Jesu zur Zeit der spanischen Inquisition, verbunden mit dem Verhör des Richters nach der Gefangennahme des Heilands.
Bei der Pause findet Brandauer erst den Weg in die Garderobe nicht
Da die Freiheit des Menschen nicht in dessen Natur läge, sei das Chaos unvermeidbar, deshalb müsse man das Volk wie eine Viehherde behandeln, um Schlimmeres zu verhindern. Daher habe Jesus in Augen des Inquisitors nicht mehr das Recht, das Wirken der Kirche durch seine Wiederkehr zu durchkreuzen.
Er liest diesen Text zügig, doch gleichzeitig zurückhaltend, was sehr reizvoll ist. Als er endet, verharrt sein Blick noch kurz auf dem Manuskript, dann haut er den Ordner auf den Tisch. Staub wirbelt auf, Brandauer erhebt sich, empfängt donnernden Applaus und erklärt, dass jetzt Pause sei. Da er sich in den Räumlichkeiten der neuen Isarphilharmonie noch nicht auskennt, findet er zunächst den Ausgang zu seiner Garderobe nicht, bekommt dann aber rasch Unterstützung von fleißigen Helfern aus der Welt hinter den Kulissen.
Als 20-jähriger Bursche war Brandauer ein faszinierender unruhiger Geist, ein hungriger und durstiger Jungschauspieler, der durch außergewöhnliche und brillant gespielte Rollen auffiel und zurecht gefeiert wurde. Heute, mehr als ein halbes Jahrhundert später, glüht die Flamme noch immer, teilweise durch die lange Erfahrung setzt er seine Sprechpausen noch gekonnter, noch listiger ein als seinerzeit.
Brandauer schafft es, gleich mehrere Meisterwerke zu vermixen
Im zweiten Teil, als er ein wahres Feuerwerk an Kostbarkeiten der Etappen seines Lebenswerkes darbietet, blitzt manchmal ein Blick zu den gebannt Horchenden, dann erkennt man den alten Lausbuben wieder. Aber nicht nur den, sondern auch Mephisto und Ödipus, Hamlet und all die anderen.
Die Verbindung so vieler, köstlicher und manchmal unheimlicher Meisterwerke haut er genial in einen virtuellen Mixer, so dass am Schluss alle Rollen quasi in eine einzige Figur gegossen sind. Und diese Figur heißt Klaus Maria Brandauer, der zum Abschluss dieses phänomenalen Abends noch jene rührende und aparte Geschichte "Halifax und Biwifax" von Fritz Müller-Partenkirchen erzählt: die Ich-Erzählung eines Jungen, der seinen Schulfreund Max in der Weihnachtszeit mit neuen, kostbaren Schlittschuhen namens Halifax antrifft.
Das möchte er nicht auf sich sitzenlassen, so erfindet er kurzerhand noch schönere und noch edlere Schlittschuhe namens Biwifax. In den Wochen danach warten alle darauf, dass das Wetter mitspielt zum Schlittschuhlaufen, denn sie möchten die neuen Biwifax-Schuhe des Erzählers sehen, der jeden Abend betet, dass es nicht frieren möge.
Der legendäre Brandauer entlässt und glücklich in die Nacht
Eines Tages, als es soweit wäre, erwacht er mit Fieber. Seine Mutter beruhigt ihn, dass die Schulkameraden den Schlittschuhlauf wegen Tauwetter abgesagt hätten. Sie aber, die schlaue Frau Mama, erkennt die Lüge des Sohnes und rettet ihn, indem sie den Mitschülern erzählt, die Biwifax hätte sie dem Vetter nach Stettin geschickt, wo es dieses Jahr besser friere.
So entlässt uns der legendäre Brandauer glücklich in die Nacht, mit frohem Gemüt und der Gewissheit, ein Schauspiel der Meisterklasse erlebt zu haben.
Am 21. Mai spricht Brandauer um 15 Uhr in der Isarphilharmonie Shakespeares Texte in einer Aufführung von Mendelssohn Bartholdys Musik zum "Sommernachtstraum" mit dem Mozarteumorchester unter Andrew Manze, Karten bei Münchenticket und unter der Telefonnummer811 61 91